Das PSZ Sterngartl von EXIT-sozial startet am 22. November mit einer Tinnitus-Gruppe für alle Betroffenen. In einem vertrauensvollen und geschützten Umfeld werden Ursachen erforscht und den TeilnehmerInnen Werkzeuge mitgegeben, das Leben mit Tinnitus besser bewältigen zu können. Hier finden Sie alle Informationen zum Gruppenangebot als Download: Info_Gruppenangebot_Tinnitus
Was ist Tinnitus?
Rauschen, Zischen, Klingeln, Summen, Heulen oder Pfeifen – Unter Tinnitus versteht man jede Art von Ohrgeräusch, die auf keine äußeren Geräusche zurückzuführen sind. Schätzungen sprechen von bis zu 1 Million betroffener ÖsterreicherInnen, welche zumindest einmal in ihrem Leben Ohrgeräusche erlebt haben. An die 100.000 ÖsterreicherInnen dürften über einen längeren Zeitraum unter ihrem Tinnitus erheblich leiden.
Was sind die Ursachen?
Die Ursachen von Tinnitus sind vielfältig: Lärmschädigungen, Knalltraumata, Entzündungen im Ohr, beginnender Schwerhörigkeit, funktionelle Störungen der Halswirbelsäule oder chronischer Stress und anhaltende innere Anspannung können Auslöser sein.
Werden Sinneszellen des Innenohrs durch solche Ereignisse geschädigt, so verschlechtert sich das Hörvermögen in jenen Frequenzbereichen, für welche die geschädigten Sinneszellen zuständig sind. In den betroffenen Frequenzbereichen werden somit schwächere Signale vom Innenohr an die Hörrinde weitergeleitet.
Das Gehirn passt sich daraufhin den neuen Gegebenheiten an und organisiert die Verbindungen zwischen den betroffenen Nervenzellen neu: Um den Ausfall der Sinneszellen zu kompensieren kommt es zu einer vermehrten neuronalen Aktivität in der Hörrinde, die dann als Tinnitusgeräusch wahrgenommen wird. Ähnlich wie bei Phantomschmerzen entsteht so bei Tinnitus im Gehirn eine neuronale Aktivität, obwohl kein entsprechender Reiz als Auslöser vorliegt.
Psychische Folgen von Tinnitus
Tinnitus-Betroffene berichten häufig über psychische Belastungssituationen wie Dauerstress, aufgestaute Gefühle und die Neigung über einen längeren Zeitraum über eigene Grenzen zu gehen vor dem erstmaligen Auftreten des Tinnitus. Am häufigsten treten Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, depressive Symptome oder panikartige Ängste gemeinsam mit dem Tinnitus auf. Gedanken wie „ich werde noch verrückt dabei“, „es wird nie mehr aufhören“ oder „wie soll ich so weiterleben“ begleiten Betroffene ständig.
Ein bis fünf Prozent der Gesamtbevölkerung entwickeln aufgrund des Tinnitus schwerwiegende psychosoziale Schwierigkeiten während des Krankheitsverlaufs. Damit kann Tinnitus für Betroffene einen negativen Einfluss auf alle Lebensbereiche besitzen und zu ernsten, zweifelsfrei krankheitswertigen Problemen in der Bewältigung des Alltags führen.
Als weitere Folge eines Tinnitus kommt es häufig zu sozialem Rückzug: Durch das permanente Ohrgeräusch fällt es Betroffenen schwer, sich zu entspannen, sodass sie in sozialen Situationen gereizt reagieren, ohne dies eigentlich zu wollen. Auch das Geräusch selbst und die möglicherweise damit verbundene Hörminderung in Frequenzbereichen, welche wichtig für das Hören von Sprache sind, kann die Kommunikation mit anderen erschweren. Nicht zuletzt die Tatsache, dass es sich beim Tinnitus um ein „unsichtbares Leiden“ handelt, macht es den Betroffenen manchmal schwer, bei anderen Verständnis für ihre Belastung zu finden.
Behandlungsmöglichkeiten
Zu den Behandlungsmöglichkeiten bei Tinnitus zählen medikamentöse Verfahren, akustische und musikalische Stimulation sowie psychologische Maßnahmen. Ebenfalls haben sich der Einsatz von elektrischer und magnetischer Gehirnstimulation und physiotherapeutische Verfahren bewährt. In der Akutphase ist eine rasche medizinische Hilfe und ärztliche Intervention unumgänglich. Bilden sich die Störsignale nicht zurück, müssen sich Betroffene damit auseinandersetzen, dass sich chronischer Tinnitus nicht einfach „abschalten“ lässt, hier greift dann die psychologische Behandlung.
Ziel einer psychologischen Behandlung ist es, den Betroffenen ein Leben mit dem Tinnitus zu ermöglichen. Das bedeutet zu lernen den Tinnitus zu überhören, die Angst vor dem Ohrgeräusch zu verlieren und sich wieder auf andere Lebens- und Sinnesbereiche zu konzentrieren.
Am Anfang spielt die Informationsvermittlung über die Entstehung und Beeinflussung von Tinnitus eine wichtige Rolle und kann oft Entlastung bringen, da sich bisherige Ängste und Vorstellungen als unbegründet erweisen können und Betroffene wieder „Orientierungshilfe“ erhalten.
Ein weiteres sehr wesentliches Element bei der Bewältigung von Tinnitus ist die Veränderung der emotionalen Bewertung des Ohrgeräusches.
Eine stressverschärfende und ungünstige, wenn auch verständliche Strategie ist es, wenn Menschen die Ohrgeräusche subjektiv als extrem laut oder unkontrollierbar und bedrohlich bewerten. Eine angsthafte Bewertung erhöht subjektiv die Lautstärke und lässt am Geräusch haften. Verstärken kann man dies noch durch Gedanken wie „Der Tinnitus ist ein Anzeichen für eine schwere Erkrankung und nie mehr wieder veränderbar“. Solche Gedanken tragen zur Aufschaukelung des Prozesses bei und verhindern eine Gewöhnung und Filterung.
Es gibt interessantere Dinge im Leben als Ohrgeräusche
Wichtig ist es zu lernen, den Tinnitus als beeinflussbar und als Teil von vielen Sinneseindrücken zu bewerten und zu erfahren, dass es im Leben interessantere Dinge gibt als Ohrgeräusche. Ein weiterer wichtiger Punkt beinhaltet die Aufmerksamkeitslenkung. Durch gezieltes und erlernbares Lenken der Aufmerksamkeit können wir, ähnlich wie bei einem Lichtstrahl, bestimmen, was wir wahrnehmen und was im Dunkeln bleibt.
Beim chronischen Tinnitus ist die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Ohrgeräusche fixiert. Durch gezieltes Üben zB mit dem Einsatz von Tinnitus-Maskern, die „weißes Rauschen“ generieren, lässt sich der Tinnitus wieder in den Hintergrund drängen. Dadurch verringert sich erfahrungsgemäß die subjektive wahrgenommene Lautstärke und Intensität des Ohrgeräusches.
Grillenzirpen in Griechenland
Als weitere Bausteine in der psychologischen Tinnitusbehandlung kommen gezielte Entspannungsverfahren und Entspannungsbilder zum Einsatz. Betroffene berichten häufig über einen Zusammenhang von innerlichem Stress und Tinnitus. Diesen können sie durch gezielte Entspannung positiv beeinflussen und die unangenehme Wahrnehmung des Tinnitus in eine neutralere umwandeln („Grillenzirpen in Griechenland“).
Tinnitus-Betroffene werden im Behandlungsprozess motiviert durch Bewegung an der frischen Luft und die aktive sinnliche Wahrnehmung der Vielfalt der Natur wieder innerlich in Bewegung zu kommen und die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Auch wir als Menschen mit unseren Lebenserfahrungen und Grundhaltungen haben Einfluss darauf, wie wir generell mit Krankheiten umgehen und wie sich Krankheiten entwickeln.
Menschen, welche dazu neigen Schwierigkeiten im Leben oder der eigenen Gefühlswelt eher pessimistisch oder ängstlich zu begegnen oder welche sich gekränkt als Opfer sehen, tun sich bei einer aktiven Krankheitsbewältigung oft schwerer. Ein gutes Selbstwertgefühl und Offenheit sowie eine innere Robustheit und die Erfahrung im Leben Krisen überstanden zu haben und dadurch gereift zu sein, kann die Verarbeitung von Tinnitus erleichtern.
Wir leben in einer Welt voller Geräusche, meistens haben wir uns daran gewöhnt. Denselben Mechanismus kann man sich auch für den Tinnitus nutzbar machen. Unser Gehirn braucht keine absolute Stille, regelmäßige Ruhepausen, um zu regenerieren, hingegen schon.
Das Tinnitus-Gruppenangebot von EXIT-sozial
Ende November 2018 wird im Psychosozialen Zentrum von EXIT-sozial in Bad Leonfelden eine geleitete Gruppe für Personen mit chronischem Tinnitus angeboten. Die Betroffenen setzen sich dabei mit den verschiedenen (oben beschriebenen) Inhalten auseinander und finden Zusammenhalt und Entlastung in einer Gruppe.
Interessierte Personen können sich unter der Nummer 07213/6006 (Beratungsstelle EXIT-sozial Bad Leonfelden, Böhmerstrasse 3) vorab informieren und anmelden.
Gruppenleitung: Mag. Peter Spindelbalker, Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe, EXIT-sozial Bad Leonfelden