Wenn die Seele rote Tränen weint!
Selbstverletzendes Verhalten ist ein Phänomen, das seit den 80er Jahren wohl bekannt ist. Dabei geht es um Selbstschädigung, die meist keine Suizid-Absicht im Hintergrund hat. Gerade weil dieses Verhalten in den letzten Monaten wieder häufiger auffällig wird und einen Nachahmungseffekt zu verbreiten scheint, erschüttert uns jeder einzelne Fall, in dem ein/e Jugendliche/r die Hand gegen sich selbst erhebt. Was bringt einen offensichtlich gesunden, jungen Menschen dazu, sich mit Rasierklingen zu ritzen, mit Zigaretten zu brennen oder sich die Haare aus zu reißen? ExpertInnen, die sich in ihrer Arbeit mit Sich-Selbst-Verletzenden auf einzelne Leidensgeschichten eingelassen und sich davon berühren lassen haben, geben allesamt eines wieder: Sich selbst körperliche Schmerzen zuzufügen ist immer auch der Versuch einer Lösung. Es bedeutet eine Auseinandersetzung der/des Betroffenen mit sich selbst und beinhaltet den Wunsch, etwas zu verändern.
Entlastung unerträglicher Situtationen
Mit der Selbstverletzung können verschiedene unerträgliche Situationen entlastet werden: Betroffene beschreiben den Drang sich zu schneiden, wenn sie großen psychischen Druck, Anspannung oder Wut verspüren. Andere wiederum fühlen sich erst lebendig und ganz da, wenn sie das eigene Blut fließen sehen. Auch Schuldgefühle nach Konflikten können Auslöser sein, ebenso ein Gefühl innerer Leere oder akuter psychischer Schmerz. Die tiefer liegenden Ursachen sind so vielfältig wie die Leidensgeschichten der Betroffenen und sollten individuell aufgearbeitet werden. In den meisten Fällen werden durch therapeutische Gespräche Gefühle der eigenen Wertlosigkeit und der Angst vor Kontrollverlust heraus gearbeitet. Signifikant häufig finden sich in der Biografie selbstverletzender Menschen Erlebnisse physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt.
Es betrifft vor allem Mädchen
Laut der Uniklinik Innsbruck lässt sich in Studien belegen, dass sich ca. 20% der Minderjährigen schon einmal selbst Verletzungen zugefügt haben. Genaue Zahlen lassen sich statistisch schwer erheben, da die Wunden vorwiegend heimlich zugefügt und Narben meist geschickt durch Kleidung versteckt werden. Selbstverletzung betrifft vor allem junge Frauen und Mädchen von der beginnenden Pubertät bis ins junge Erwachsenenalter. Dies lässt sich einerseits dadurch erklären, dass Aggression bei jungen Männern eher gesellschaftlich anerkannt ist. Es gilt sogar als „ausgesprochen männlich“, wenn ein Mann Durchsetzungsvermögen zeigt und sich dabei aggressiver Verhaltensweisen bedient. Frauen hingegen wird eine „passive, leidensbereite und gefühlvolle“ Rolle zugeschrieben, daher wird Aggression eher gegen sich selbst gerichtet, um die gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Auch fällt es weiblichen Menschen scheinbar schwerer, mit Konflikten um zu gehen, weil sie Angst haben, wichtige Beziehungen zu gefährden oder nahestehende Menschen zu verletzen. Schuldgefühle, die durch Aggression einem anderen Menschen gegenüber entstehen, werden durch Autoaggression kompensiert.
Angehörige brauchen Geduld
Für Angehörige ist es besonders wichtig zu wissen, dass die selbstverletzende Handlung ein Versuch ist, Kontrolle über den eigenen Körper und das eigene Leben zu erlangen. Dass dieser Versuch leider recht rasch außer Kontrolle geraten kann, ist den wenigsten Betroffenen bewusst – es wird oft rasch zur Sucht. Nach nur wenigen erfolgreich erlebten Entlastungszuständen wird die Selbstverletzung immer häufiger eingesetzt, das Schneidewerkzeug immer griffbereit mitgeführt, die Gedanken kreisen immer mehr um die Möglichkeit, sich selbst zu verletzen. Gut gemeinte Aufforderungen, mit dem Verhalten „doch einfach auf zu hören“ sind nicht hilfreich, genauso wenig wie Drohungen oder Schuldzuschreibungen. Im Gegenteil können Druck, hohe Erwartungen und die Warnung vor Konsequenzen den Drang zur Selbstverletzung noch verstärken. Auch eine übertriebene Sorgereaktion kann diesen mit zu viel an Aufmerksamkeit belohnen – nicht jede Wunde bedarf einer ärztlichen Behandlung oder gar einem Krankenhausbesuch. Dennoch sollte dieser nonverbale Hilfeschrei ernst genommen werden: Verständnis, Gesprächs- und Hilfeangebot und eine gemeinsame Suche nach Alternativen können auf dem Weg zur Heilung der Seele förderlich sein. Wie auch bei anderen Süchten ist Geduld notwendig und jeder Tag ohne das schädigende Verhalten ein Sieg. Verbandsmaterial, desinfizierende Mittel zur Versorgung der Wunden und Narbensalben sind für selbstverletzende Menschen wichtige Hilfsmittel, um die Folgen der Verletzungen und den Druck von außen nicht zu verschlimmern. Für die Betroffenen ist es wichtig, das Gefühl von Kontrolle, Autonomie und Selbstverantwortung wieder zu erlangen. Dies ist in vielen Fällen nur mit professioneller Unterstützung und durch therapeutische Gespräche möglich.
Je früher die Hilfe, desto besser!
Wenn Sie ein Mensch sind, der sich selbst verletzt oder jemanden kennen, der dieses Verhalten zeigt, sollten Sie möglichst rasch Hilfe suchen. Je früher dem verzweifelten Versuch, innere Konflikte zu lösen, neue Möglichkeiten und Wege aufgezeigt werden können, desto höher sind die Heilungschancen.
Wir können helfen!
Die psychosoziale Beratungsstelle von EXIT-sozial in Bad Leonfelden, Böhmerstraße 3 bietet Unterstützung und Hilfe rund um das Thema Selbstverletzendes Verhalten an. Wir sind für Sie persönlich oder telefonisch erreichbar:
Montag + Mittwoch von 09:00 – bis 15:00 Uhr
Dienstag von 13:00 – 17:00 Uhr
Donnerstag von 12:00 – 18:00 Uhr
Freitag von 09:00 – 12:00 Uhr.
Sie können aber auch einen Beratungstermin außerhalb dieser Zeiten vereinbaren.
Unter 07213/6006 oder psz.bl@exitsozial.at
Text: Andrea Crofskey-Kratzert aus dem PSZ Sterngartl in Bad Leonfelden
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