„Die kleine Welt von gestern gibt es nicht mehr“ und warum es notwendig ist, sich der Angst zu stellen

Jetzt erleben auch wir, wie sehr sich die Welt verändert. Das beschreibt Christine Haiden eindrucksvoll in Ihrer OÖN-Kolumne am Donnerstag. Und, womit wir in Zukunft zu rechnen haben. Entscheidend dabei ist, dass wir uns den Ängsten stellen, um  menschliche Lösungen zu finde. Ein wichtiger Beitrag, gleich hier zum Nachlesen …
 
Bisher war das so: Wir waren im Wesentlichen mit unserem Alltag beschäftigt, hielten Österreich für ein kleines, sicheres Land, unseren Lebensstandard für redlich verdient, und wenn wir Ferien hatten, machten wir uns auf in fremde Länder. Die einen, um zu erkunden, wie man dort lebt, die anderen um in All-inclusiv-Resorts zu entspannen.

Dann ging es zurück ins sichere Nest zwischen Bodensee und Stephansturm. Wenn Fremde zu uns kamen, dann als Touristen oder als Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten. Die Probleme waren überschaubar, Fremdenfeindlichkeit ein letzter nationalstaatlicher Luxus. Das war unsere alte Welt. Seit mehreren Jahren merken wir, dass sich etwas grundlegend verändert. Dass alle mit allen vernetzt sind, ist ein Phänomen, das bis zum einzelnen Menschen geht. Flüchtlinge planen ihre Routen via Google Maps, sie sind durch WhatsApp oder andere Netzwerke weltweit mit anderen verbunden. Es gibt theoretisch keinen Grund mehr, irgendeine Information in irgendeinem Dorf in der Welt nicht zu bekommen – außer man hat kein Smartphone oder keinen Zugang zum Internet. Die keine Welt von gestern gibt es nicht mehr. Grenzen schließen, Heimatrechte definieren, das wird nichts nützen.

Von denen, die nach besseren Chancen oder bloßem Überleben suchen, wird die Welt selbst als Heimat gesehen. Das wird sich vermutlich noch viel mehr zuspitzen. Über den Flüchtlingsdramen dieser Tage ging eine Meldung ziemlich unter: Klimaexperten prognostizieren, dass der Spiegel der Weltmeere in den nächsten ein- bis zweihundert Jahren um einen Meter steigen wird. Wenn der Klimawandel so eintrifft, wird sich an den Küsten unserer Erde Dramatisches ereignen. Ganze Länder wie Bangladesch werden untergehen. Genauso gefährdet sind viele Metropolen der westlichen Welt wie New York, London, Amsterdam.

Menschen werden versuchen, sichere Orte zum Leben zu finden. Die Völkerwanderung, die wir bisher nur aus Geschichtsbüchern kannten, wird ein wahrscheinliches Ereignis der Zukunft. Das ist nicht beruhigend. Im Gegenteil. Aus solchen Perspektiven erwachsen Ängste, die in sich den Hang zum Irrationalen haben, umso mehr, wenn man sich ihnen nicht stellt. Wir müssen uns auf eine neue Welt einstellen. Die Rede vom Lebensrecht aller wird neue Bedeutung bekommen. Weil die, die nichts mehr zu verlieren haben, es dort einzulösen versuchen, wo es noch Lebensgrundlagen gibt. Wenn Waren global reisen, warum nicht auch Menschen? Wir werden um unser Erworbenes fürchten und uns an Menschen anderer Prägung reiben. Wir können uns aufs Rechthaben verlegen oder Lösungen suchen. Aber es gibt keinen Weg zurück. Die Welt ist die Heimat aller. (Erschienen in den OÖN am 3. September 2015 in der Kolumne  „Haiden am Donnerstag“, foto_miriam roithinger)

Christine Haiden ist Chefredakteurin der Zeitschrift „Welt der Frau“, Autorin und unter anderem Kolumnistin der OÖN. christine.haiden@welt-der-frau.at