„Der BAGS-Kollektivvertrag ist nicht gerade eine Problemlösung“

Was reifende Rotweine mit sozialer Arbeit zu tun haben, wieso der Umstieg auf ein neues Gehaltssystem eine vertraute Geschichte ist und warum immer mehr Menschen in unsere Beratungsstellen kommen. Vorstandsvorsitzender Rudolf Ardelt im Spätsommergespräch. Die Fragen stellte Gottfried Roithinger.

Herr Professor Ardelt, seit über einem Jahr bis du jetzt Vorstandsvorsitzender von EXIT-sozial. Wie geht es dir?
Ardelt (lacht): Eigentlich recht gut, auch wenn es sorgenvolle Zeiten gab. Positiv ist das Klima hier, und positiv, dass niemand trotz bewölkter Aussichten die Motivation weggeschmissen hat. Jetzt, nach Verhandlungen mit dem Land, hellt sich die Stimmung auf.

Du warst viele Jahre Rektor der Johannes Kepler-Universität. Gibt’s da Ähnlichkeiten in den beiden Jobs?
Was die Größenordnung betrifft, eher nicht. Aber wir hatten auch damals mit Budgetkürzungen zu kämpfen und mussten Einsparmaßnahmen setzen. Das war schwierig, aber wir haben es gut überstanden. Auch hier habe ich versucht, Einschnitte beim Personal möglichst zu vermeiden, weil ich der Überzeugung bin, dass Köpfe und Herzen wichtiger sind als neue Büromöbel.

Gab es dann Einsparungen beim Personal?
Es gab bei den Verhandlungen des Kollektivvertrages für das Personal der Universitäten, die ich geleitet habe, die Erwartung der Politik, dass ein Umstieg auf ein neues Gehaltssystem das Personal billiger macht. Dem musste ich entgegentreten, weil es faire und anständige Gehälter braucht, um qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die notwendige Laufbahnperspektive zu bieten. Ich war ja damals für die österreichweiten Kollektivvertragsverhandlungen auf Arbeitgeberseite zuständig, was nicht ganz einfach war, weil von der Gewerkschaft zum Beginn Vorstellungen vorgelegt wurden, die weit von allen Möglichkeiten der Realisierung entfernt lagen. Mir war es wichtig, einen „fair deal“ zu verhandeln.

Ist dieser „fair deal“ geglückt?
Ja, auch nach Meinung der Gewerkschaft. Es ist gelungen, die notwendigen Mittel für einen Umstieg auf das neue Gehaltssystem vom Wissenschaftsministerium, vor allem aber vom Finanzministerium zu bekommen.

EXIT-sozial hat viele erfahrene und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist gut für die Menschen, die zu uns kommen, aber schlecht für die wirtschaftliche Situation des Vereins. Warum ist das so?
… Na ja, das Problem liegt darin, dass die öffentliche Hand bei der langfristigen Finanzierung von sozialen Leistungen nicht mit den steigenden Gehältern rechnet und sich auf Annahmen eines mittleren Gehaltsniveaus stützt. Und nicht berücksichtigt, dass am Beginn junge Menschen Leistungen sehr günstig erbringen, sich das aber naturgemäß ändert. Das ist auch in einem Wirtschaftsbetreib nicht anders, Ältere werden daher oft als Belastung gesehen, wenn es um die Kosten geht …

…die Gehaltskosten sind ja nur ein Faktor…
Ja, eben, und da ist es wichtig, im Auge zu behalten, dass vor allem bei den psychosozialen Gesundheitsdiensten die langjährige Erfahrung ein ganz wesentliches Kapital darstellt. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind eine ganz wertvolle Ressource. Wie bei einem im Keller reifenden Rotwein – der wird mit den Jahren immer besser – ist es auch im Sozialbereich.

Wie groß ist jetzt dieses „Finanzierungsproblem“ wegen der höheren Gehälter?
Ich denke, es trifft alle Organisationen in unserem Bereich, auch die Politik muss sich damit befassen, denn wir können ja nicht sagen: Wer länger als 5 Jahre hier arbeitet, muss wieder gehen. Der derzeitige BAGS-Kollektivvertrag ist nicht gerade eine Problemlösung, weil er auch am Senioritätsprinzip orientiert ist.

Was heißt „Senioritätsprinzip“?
Je älter und je höher die Verwendungsgruppe, umso stärker der Anstieg. Ein zeitgemäßes Gehaltssystem müsste höhere Anfangsgehälter haben, dafür später weniger stark ansteigen. Denn gerade zwischen 20 und 40 Jahre werden Familien gegründet oder ist Wohnraum zu finanzieren.

Wie hoch ist die Chance für einen „fair deal“?
Wir haben sehr umfangreiche Berechnungen angestellt und mit dem Land über verschiedene Szenarien gesprochen. Alleine das hat schon gezeigt, das auch von unserem wichtigsten Geldgeber trotz angespanntem Budget intensiv nach einem Weg zum fair deal gesucht wird.

Bist du optimistisch, dass der auch gefunden wird?
Sagen wir es so: Ich glaube, dass alle Beteiligten wirklich das Bemühen geteilt haben, einen für alle gangbaren Weg zu finden. Vor allem mit der neuen Landesrätin Gertraud Jahn ist das Gesprächsklima sehr positiv, freilich muss auch sie ihre Budgetgrenzen einhalten.

Noch eine Frage: Im Vorjahr ist die Zahl der Klientinnen und Klienten auf mehr als 7.400 gestiegen. In den Beratungsstellen gab es sogar einen Zuwachs von 13 Prozent. Warum?
Die Scheu davor, Hilfe bei psychischen Problemen zu suchen, wird geringer, die Gesellschaft ist da viel offener geworden. Es gibt aber auch eine Tendenz, bei gewissen Auffälligkeiten der Befindlichkeit, des Verhaltens, sofort Alarm zu rufen, weil die Tendenz besteht, viele Erscheinungen eines „auffälligen“ Verhaltens gleich als „Krankheit“ zu definieren. Auch sehe ich eine Auslagerung von Problemlösungen, etwa in Konfliktfällen aus den Familien zu professionellen Dienstleistern. Man denke nur an das Ausufern der psychiatrischen „Manuals“ und vor allem an die Anpreisungen der Psychopharmaka-Industrie!

Noch eine letzte Frage: Wenn du einen Wunsch frei hättest …
… (lacht) würde ich mir das Auftauchen eines Geistes wünschen, der uns im Sozialbereich mit Bergen von Gold ausstattet, einen Dagobert Duck, der seine ganzen Schätze bei uns loswerden möchte!