Schwer erreichbar, Angst, zu teuer: Gesundheitsversorgung für Armutsbetroffene besser zugänglich machen

Eine Studie mit 15 Punkten, um Ungerechtigkeiten bei der Gesundheitsversorgung für Menschen in Armut zu verringern, veröffentlichte die Armutskonferenz jetzt im August. In den kommenden Wochen werden Ministerien und Krankenversicherungen damit konfrontiert, heißt es in der jüngsten OTS-Aussendung. Wobei: Vieles davon wäre auch für andere Nutzerinnen und Nutzer hilfreich!

„Erleichterter Zugang zu kostenloser Psychotherapie“, „psychosoziale Notdienste außerhalb der Ballungszentren“ sowie „keine Kürzung für soziale Dienste und Einrichtungen“, weil das zu einer Verschlechterung der Unterstützung für Menschen in Armut führt: So lauten einige der Vorschläge aus der jetzt vorgelegten Studie. Bei einer qualitativen Erhebung wurden im Auftrag der Armutskonferenz Armutsbetroffene direkt befragt, mit dem Ziel, fehlende Zugänge zu Gesundheitsleistungen, Unterschiede zwischen Stadt und Land, die Nichtleistbarkeit von Diensten, die Unverständlichkeit von Diagnosen sowie Beschämung und Ängste zu erfassen und zu thematisieren, heißt es in der Presse-Information der Armutskonferenz. Auf Basis dieser Ergebnisse schlägt nun die Armutskonferenz folgende fünfzehn Punkten für Verbesserungen vor:

  1. Begleitdienste, also „Mitgehen“, für und mit Armutsbetroffene bei Gutachten und Gesundheitsdiensten. Auch bei Ämtern und Behörden.
  2. Jemanden haben, der/die einfach da ist und Gemeinsames unternimmt: Persönliche Begleitung, Mentoring oder Buddies.
  3. Erleichterter Zugang zu kostenloser Psychotherapie, Ausbau von Therapie- und Beratungseinrichtungen und psychosozialen Notdiensten außerhalb der Ballungszentren.
  4. Erleichterter Zugang zu Kuren und uneingeschränkter Zugang zu REHA-Maßnahmen. Personen mit multiplen Beeinträchtigungen sind wegen Betreuungsbedarf von Kuren ausgeschlossen.
  5. Unbürokratische finanzielle Unterstützung bei Behandlungen mit hohen Selbstbehalten (Zahnersatz, Regulierungen, etc.) sowie bei notwendigen Heilbehelfen (Hörgeräte, orthopädische Hilfen etc.); Selbstbehalte außerhalb der Rezeptgebührenbefreiung sind für Prekarisierte und Einkommensschwache nicht leistbar.
  6. Bessere räumliche Erreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen: Menschen mit wenig Geld haben besonders im ländlichen Raum große Probleme, Gesundheitseinrichtungen zu erreichen. Auch kleinere Wege sind ohne Auto kaum machbar. Kommen Armut und Krankheit zusammen ist die Mobilität völlig eingeschränkt.
  7. Kein Zwang zu krankmachender Erwerbsarbeit: Die Erfahrung „ganz unten“ ist, dass Arbeit nicht automatisch „integriert“, sondern „sozial exkludieren“ kann, was Fragen rund um Sanktionen, Krankheit, Invaliditätspension und „Arbeit um jeden Preis“ aufwirft. Wenn Arbeit krank macht, prekarisiert, ohne Anerkennung und Wertschätzung, entsteht soziale Ausgrenzung durch die Arbeit selbst. „Arbeit um jeden Preis?“: AMS, Sanktionen und Angst machen krank.
  8. Wiedereinführung des Pensionsvorschusses: Der Pensionsvorschuss war bisher eine finanzielle Absicherung für Menschen, deren Anspruch auf Krankengeld nach einem Jahr Bezug ausgeschöpft war. Gerade schwere Unfälle, langwierige Krebserkrankungen oder die zunehmenden psychischen Erkrankungen bringen eine längere Arbeitsunfähigkeit mit sich. Jetzt stehen die Betroffenen vor dem Nichts.
  9. Mehr Respekt und Beachtung vorliegender Befunde: Bessere Ausbildung und Sensibilisierung von GutachterInnen. Bereits vorliegende Befunde dürfen nicht missachtet werden.
  10. Gleiche Behandlung und gleiche Therapien – egal ob arm oder reich: Werden Armutsbetroffene gleich behandelt, bekommen sie die gleiche Medizin, die gleiche Therapie? Keine Klassenmedizin – ob bewusst oder unbewusst!
  11. Keine Kürzung für soziale Dienste und Einrichtungen: Sparpakete und Austeritätspolitik verschlechtern die Unterstützung von sozialen Diensten.
  12. Gleicher Zugang zum Recht für alle – egal ob arm oder reich. Vertretung von Betroffenen bei Krankenkasse, Pensionsversicherung, AMS und Sozialamt. Rechtsberatung, Rechtshilfe und Rechtsdurchsetzung.
  13. Schließen der Lücken für Menschen ohne Krankenversicherung: Für viele ist der mangelnde Krankenversicherungsschutz kurzzeitlich, für manche dauerhaft. Es ist ein Mix aus strukturellen Lücken, sozialen Benachteiligungen, fehlenden persönlichen Ressourcen und mangelnder Information. Davon betroffen sind Menschen in prekärer Beschäftigung, Personen in schweren psychischen Krisen, Arbeitssuchende ohne Leistungsanspruch, Hilfesuchende, die ihren Mindestsicherungsanspruch aus Scham nicht einlösen.
  14. Verständlichkeit und Lesbarkeit von Formularen, Diagnosen und Therapien: Eine angemessenere und leichter verständliche Formularsprache. Mehr Zeit für die Erklärung von Diagnosen bzw. Therapien.
  15. Dialogforen mit ÄrztInnen, EntscheidungsträgerInnen und anderen Gesundheitsberufen: Armutsbetroffene kommen ins Gespräch mit AkteurInnen des Gesundheitssystems. Sensibilisierung für Anliegen und Situation Einkommensschwacher, Erfahrungsaustausch am runden Tisch (z.B. mittels „Weltcafé“).

Die Armutskonferenz wird die Ergebnisse dieser Erhebung in den nächsten Wochen den zuständigen Ministerien, Gebietskörperschaften und Krankenversicherungsträgern vorstellen. (APA-OTS, 18. August 2015; go; Foto: Photocase_photögraphy.com)